Der Herbst

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Der Herbst

Dies ist der Herbst:
der – bricht dir noch das Herz!
Fliege fort! fliege fort!
Die Sonne schleicht zum Berg
Und steigt und steigt
Und ruht bei jedem Schritt.

Was ward die Welt so welk!
Auf müd gespannten Fäden spielt
Der Wind sein Lied.
Die Hoffnung floh –
Er klagt ihr nach.

Dies ist der Herbst:
der – bricht dir noch das Herz!
Fliege fort! fliege fort!
O Frucht des Baums,
Du zitterst, fällst?
Welch ein Geheimnis lehrte dich
Die Nacht,
Daß eisiger Schauder deine Wange,
Die Purpur-Wange deckt? –

Du schweigst, antwortest nicht?
Wer redet noch? – –

Dies ist der Herbst:
der – bricht dir noch das Herz!
Fliege fort! fliege fort!
Ich bin nicht schön
– so spricht die Sternenblume –,
Doch Menschen lieb ich
Und Menschen tröst ich –

Sie sollen jetzt noch Blumen sehn,
Nach mir sich bücken
Ach! und mich brechen –
In ihrem Auge glänzet dann
Erinnerung auf,
"Erinnerung an Schöneres als ich: –
– ich seh's – und sterbe so." –

Dies ist der Herbst:
der – bricht dir noch das Herz!
Fliege fort! fliege fort!




Friedrich Wilhelm Nietzsche, 1844 - 1900


Photo copyright: Isabella Kramer
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Das Flüchtigste

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Das Flüchtigste

Tadle nicht der Nachtigallen
Bald verhallend süßes Lied;
Sieh, wie unter allen, allen
Lebensfreuden, die entfallen,
Stets zuerst die schönste flieht.

Sieh, wie dort im Tanz der Horen
Lenz und Morgen schnell entweicht;
Wie die Rose, mit Auroren
Jetzt im Silberthau geboren,
Jetzt Auroren gleich erbleicht.

Höre, wie im Chor der Triebe
Bald der zarte Ton verklingt.
Sanftes Mitleid, Wahn der Liebe,
Ach, daß er uns ewig bliebe!
Aber ach, sein Zauber sinkt.

Und die Frische dieser Wangen,
Deines Herzens rege Gluth,
Und die ahnenden Verlangen,
Die am Wink der Hoffnung hangen -
Ach, ein fliehend, fliehend Gut!

Selbst die Blüthe Deines Strebens,
Aller Musen schönste Gunst,
Jede höchste Kunst des Lebens,
Freund, Du fesselst sie vergebens;
Sie entschlüpft, die Zauberkunst.

Aus dem Meer der Götterfreuden
Ward ein Tropfen uns geschenkt,
Ward gemischt mit manchem Leiden,
Leerer Ahnung, falschen Freuden,
Ward im Nebelmeer ertränkt.

Aber auch im Nebelmeere
Ist der Tropfen Seligkeit;
Einen Augenblick ihn trinken,
Rein ihn trinken und versinken,
Ist Genuß der Ewigkeit.

Johann Gottfried von Herder




Photo copyright: Isabella Kramer
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Das Auge der Maus

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Das Auge der Maus

Das rote Auge einer Maus
lugt aus dem Loch heraus.

Es funkelt durch die Dämmerung…
Das Herz gerät in Hämmerung –

"Das Herz von wem?" Das Herz von mir!
Ich sitze nämlich vor dem Tier –

O Seele, denk an diese Maus!
Alle Dinge sind voll Graus.



Christian Morgenstern 






Gemälde copyright: Isabella Kramer 


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