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Die Heide

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Über die Heide im Sonnenstrahl
Lief ich als Bub viel hundertmal,
Meinen Drachen am drahtharten Stricke,
Lief mit rückwärts gewendetem Blicke
Glühend im jubelnden Bubenglücke.

Was die Heide nicht alles kann!
Komm' heut' zurück als aufrechter Mann:
Kaum, daß die Füße die Heide berühren,
Kaum, daß die Sohlen die Heide verspüren,
Fühl' ich den Buben den Mann verführen!

Stürm' schon, wie einst, übers Heideland,
Halt' einen Sonnenstrahl fest in der Hand;
Mag sich das Wölkchen noch so sperren
Und am knatternden Faden zerren,
O, ich zeig' meinem Drachen den Herren!

Und es folgt mir! Ich stürme dahin,
Jung, weil ich wieder zu Hause bin,
Jung und stark und nicht zu zähmen!
Wenn nur die andern Buben schon kämen!
Wagt's nur, wagt's mit mir aufzunehmen!









Hugo Salus, 1866 - 1929


Picture: Carl Spitzweg: Drachensteigen / Flying kites, c. 1880–1885 Oil on cardboard, 38 x 12 cm Gallery: Alte Nationalgalerie Berlin, A I 1033

Gesang einer Nymphe

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befreit - im kasten -
schaue ich in die ferne
atme einsamkeit

vor dem unwetter
vibriert die luft - nicht spürbar
im käfig aus glas

unsicher bin ich
nur in den balken der wind
säuselt und flüstert

aufpeitscht das wasser
nymphen des meeres streiten
im tanz mit göttern

die wellen tosen
springen spritzen hüpfen hoch
und du sitzt ganz still

wie sie sich wiegen
im schaum die meerjungfrauen
silbrig-blau glitzernd

töchter nereus'
durchkichern sie die wasser
an poseidons leib

du fasst dir ins haar
feucht - wie deine weiße haut -
der gischt entkommen...




Gabriele Brunsch© 2009

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Weißt du wohin deine Katze geht?

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Weißt du wohin deine Katze geht?










Weißt du
wohin deine Katze geht
wenn du dich umdrehst?

Wenn sie dir am Morgen
... auf dem Bauch liegt,
was sie da auf katzisch denkt
und die ganze Welt vibrierend
weiter dreht
und du dich nicht zu rühren
traust -
weißt du's?

Weißt du
wen sie jagt im Schlaf
wenn ihre Tatzen zucken
und du mitunter fragst -
bin ichs - bin ichs nicht?

Und wen immer sie meint
wenn sie um die Beine dir streicht
und drückt und herzerweichend
maunzt -
bist du's oder nur der Käse in deiner Hand -
ganz Katzenart,
weißt du's?

Da, wo du bist,
kann leicht auch deine Katze sein,
aber wo sie ist -
wie reichst du dahin?





von Bernd Pol 



Photo copyright: Isabella Kramer

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Laterne, Laterne

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Noch einmal glänzt wie Goldgeschmeide
die Flut des Stromes leuchtend auf,
da steigt in leichtem Nebelkleide
der Sommerabend still herauf.
Und wie er durch die Gassen schreitet,
aufatmend jede Brust sich weitet.
Es ist, als klan' ein Friedeswort,
und Lärm und Unrast fliehen fort.

Da kommt's aus Tür und Tor gesprungen
und ordnet sich in langer Reih,
ein Zug von Mädchen und von Jungen,
ein Käsehoch ist auch dabei.
Wie sie die Köpfchen drehn und wenden,
die Stocklaterne hoch in Händen!
Dann zieht's mit feierlichem Sang
die Straße langsam stolz entlang:

"Laterne Laterne
Sonne, Mond und Sterne!
Meine Laterne brennt so schön!
Morgen wollen wir wieder gehn."

Die Sonne, tief schon in den Fluten,
Hort lächelnd noch der Kinder Reih'n;
"Sie kommen schon, ich muß mich sputen",
und zieht die letzten Strahlen ein.
Der Mond springt hinter Wolkenhaufen:
"Ich will doch heimlich mit euch laufen."
Ein Stern nur blinzel ohne Ruh,
dann hält er sich die Augen zu.

"Laterne! Laterne!
Sonne, Mond und Sterne!
Meine Laterne brennt so schön!
Morgen wollen wir wieder gehn."

Ich schau vom Straßentor alleine
dem Zuge nach mit trübem Sinn,
mir ist's, als zög in hellem Scheine
dort meine eigne Kindheit hin.
Und mit ihr Traum und Frieden gehen.
Des Lebens goldne Fäden wehen
leuchtend weiter in schnellem Flug;
mein Kind, mein Kind singt mit im Zug:

"Laterne! Laterne!
Sonne, Mond und Sterne!
Meine Laterne brennt so schön!
Morgen wollen wir wieder gehn. 


von Jakob Löwenberg 




picture by Charles Courtney Curran (1861 - 1942)  "Lanterns" -  Impressionimn



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Kindergedicht - das Hexen-Einmaleins

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Du musst verstehn!
Aus Eins mach Zehn,
Und Zwei lass gehn,
Und Drei mach gleich,
so bist du reich.
Verlier die Vier!
Aus Fünf und Sechs -
So sagt die Hex -
Mach Sieben und Acht,
So ists vollbracht:
Und Neun ist Eins,
Und Zehn ist keins,
Das ist das Hexen-Einmaleins!


von Johann Wolfgang von Goethe






Bildmaterial von wikimedia commons: Démons et Merveilles - Edward Reginald Frampton (1872-1923) 

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Kindheit

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Edmund CharlesTarbell "Fillette au Bateau" 1899



Da rinnt der Schule lange Angst und Zeit
mit Warten hin, mit lauter dumpfen Dingen.
O Einsamkeit, o schweres Zeitverbringen...
Und dann hinaus: die Straßen sprühn und klingen
und auf den Plätzen die Fontänen springen
und in den Gärten wird die Welt so weit -.
Und durch das alles gehn im kleinen Kleid,
ganz anders als die andern gehn und gingen -:
O wunderliche Zeit, o Zeitverbringen,
o Einsamkeit.

Und in das alles fern hinauszuschauen:
Männer und Frauen; Männer, Männer, Frauen
und Kinder, welche anders sind und bunt;
und da ein Haus und dann und wann ein Hund
und Schrecken lautlos wechselnd mit Vertrauen -:
O Trauer ohne Sinn, o Traum, o Grauen,
o Tiefe ohne Grund.

Und so zu spielen: Ball und Ring und Reifen
in einem Garten, welcher sanft verblaßt,
und manchmal die Erwachsenen zu streifen,
blind und verwildert in des Haschens Hast,
aber am Abend still, mit kleinen steifen
Schritten nachhaus zu gehn, fest angefaßt -:
O immer mehr entweichendes Begreifen,
o Angst, o Last.

Und stundenlang am großen grauen Teiche
mit einem kleinen Segelschiff zu knien;
es zu vergessen, weil noch andre, gleiche
und schönere Segel durch die Ringe ziehn,
und denken müssen an das kleine bleiche
Gesicht, das sinkend aus dem Teiche schien -:
O Kindheit, o entgleitende Vergleiche.
Wohin? Wohin?




Rainer Maria Rilke, 1902


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