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An meine Mutter

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An meine Mutter

Ach, wär ich ein Vöglein,
ich wüßt, was ich tät:
Ich lernte mir Lieder
von morgens bis spät.
Dann setzt ich mich dort,
wo lieb Mütterlein wär,
und säng ihr die Lieder
der Reihe nach her.

Und wär ich ein Schäflein,
das hätt' ich im Sinn:
Ich gäb alle Wolle
dem Mütterlein hin.
Die spinnt dann die Wolle
und strickt sicherlich
zwei Dutzend Paar Strümpfe
für sich und für mich.

Und wär ich ein Fischlein,
ich wüßt, was da wär:
Ich tauchte zum Grunde
tief unten ins Meer,
holt Perlen und Muscheln.
Ihr glaubt, nur für mich?
Der Mutter die Perlen,
die Muscheln für mich.

Doch mancherlei möchte ich
denn doch wohl nicht sein:
Nicht Apfel, noch Kirschen,
nicht Wasser, noch Wein.
Denn äße man mich
oder tränke mich aus,
dann hätt meine Mutter
kein Kind mehr im Haus.

Robert Reinick, 1805 - 1852



Foto copyright: mit freundlicher Genehmigung des Urhebers 

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Der Esel

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Der Esel

Es stand vor eines Hauses Tor
Ein Esel mit gespitztem Ohr,
Der käute sich sein Bündel Heu
Gedankenvoll und still entzwei. –

Nun kommen da und bleiben stehn
Der naseweisen Buben zween,
Die auch sogleich, indem sie lachen,
Verhaßte Redensarten machen,

Womit man denn bezwecken wollte,
Daß sich der Esel ärgern sollte. –

Doch dieser hocherfahrne Greis
Beschrieb nur einen halben Kreis,
Verhielt sich stumm und zeigte itzt
Die Seite, wo der Wedel sitzt.


Wilhelm Busch, 1832 - 1908




Photo copyright: Isabella Kramer
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Die Unterhose

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Die Unterhose

Heilig ist die Unterhose,
wenn sie sich in Sonn und Wind,
frei von ihrem Alltagslose,
auf ihr wahres Selbst besinnt.

Fröhlich ledig der Blamage
steter Souterränität,
wirkt am Seil sie als Staffage,
wie ein Segel leicht gebläht.

Keinen Tropus ihr zum Ruhme
spart des Malers Kompetenz,
preist sie seine treuste Blume
Sommer, Winter, Herbst und Lenz.


Christian Morgenstern, 1871 - 1914




Foto copyright: Isabella Kramer

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Der Handschuh

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Der Handschuh

Vor seinem Löwengarten,
Das Kampfspiel zu erwarten,
Saß König Franz,
Und um ihn die Großen der Krone,
Und rings auf hohem Balkone
Die Damen in schönem Kranz.

Und wie er winkt mit dem Finger,
Auf tut sich der weite Zwinger,
Und hinein mit bedächtigem Schritt
Ein Löwe tritt,
Und sieht sich stumm
Rings um,
Mit langem Gähnen,
Und schüttelt die Mähnen,
Und streckt die Glieder,
Und legt sich nieder.

Und der König winkt wieder,
Da öffnet sich behend
Ein zweites Tor,
Daraus rennt
Mit wildem Sprunge
Ein Tiger hervor.

Wie der den Löwen erschaut,
Brüllt er laut,
Schlägt mit dem Schweif
Einen furchtbaren Reif,
Und recket die Zunge,
Und im Kreise scheu
Umgeht er den Leu
Grimmig schnurrend;
Drauf streckt er sich murrend
Zur Seite nieder.

Und der König winkt wieder,
Da speit das doppelt geöffnete Haus
Zwei Leoparden auf einmal aus,
Die stürzen mit mutiger Kampfbegier
Auf das Tigertier,
Das packt sie mit seinen grimmigen Tatzen,
Und der Leu mit Gebrüll
Richtet sich auf, da wirds still,
Und herum im Kreis,
Von Mordsucht heiß,
Lagern die greulichen Katzen.

Da fällt von des Altans Rand
Ein Handschuh von schöner Hand
Zwischen den Tiger und den Leun
Mitten hinein.

Und zu Ritter Delorges spottenderweis
Wendet sich Fräulein Kunigund:
»Herr Ritter, ist Eure Lieb so heiß,
Wie Ihr mir's schwört zu jeder Stund,
Ei, so hebt mir den Handschuh auf.«

Und der Ritter in schnellem Lauf
Steigt hinab in den furchtbarn Zwinger
Mit festem Schritte,
Und aus der Ungeheuer Mitte
Nimmt er den Handschuh mit keckem Finger.

Und mit Erstaunen und mit Grauen
Sehens die Ritter und Edelfrauen,
Und gelassen bringt er den Handschuh zurück.
Da schallt ihm sein Lob aus jedem Munde,
Aber mit zärtlichem Liebesblick –
Er verheißt ihm sein nahes Glück –
Empfängt ihn Fräulein Kunigunde.
Und er wirft ihr den Handschuh ins Gesicht:
»Den Dank, Dame, begehr ich nicht«,
Und verläßt sie zur selben Stunde.



Friedrich von Schiller, 1759 - 1805



Gemälde: "A Knight rode up" von John Bauer 1915


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Die Badewanne

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Die Badewanne

Die Badewanne prahlte sehr.
Sie hielt sich für das Mittelmeer
Und ihre eine Seitenwand
Für Helgoländer Küstenland.

Die andre Seite - gab sie an -
Sei das Gebirge Hindustan
Und ihre große Rundung sei
Bestimmt die Delagoabai.

Von ihrem schmalen Ende vorn
Erklärte sie, es sei Kap Horn.
Den Kettenzug am Regulator
Hielt sie sogar für den Äquator.

Sie war - nicht wahr, das merken Sie? -
Sehr schwach in der Geographie.
Dies eingebildete Bassin,
Es wohnte im Quartier Latin.*


Joachim Ringelnatz




*Quartier Latin ist ein malerischer Stadtteil von Paris 


Foto copyright: Isabella Kramer
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