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Sylvester

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Sylvester

Komm, vergiss einmal all die Geschichten
komm und begrab einmal all den Kram!
es sind ja doch nur Lumpereien,
die einem nur das Herz zerquälen,
die einen nur müde machen und lahm!

Die Menschen sind so, ich weiß es wohl:
statt fröhlich und guter Dinge zu sein,
vernörgeln sie sich die schönsten Stunden
mit kindisch törichten Hetzerein.
Sie möchten es selbst nicht, wenn man frägt ...
sie sehnen sich, harmloser sein zu dürfen,
sie nennen es Unrecht, Schande und Hohn
und möchten heraus aus all dem Gezänke ...
und kommen doch nicht los davon ...
und wenn man so zusieht, wie sie allmählich
mutloser werden, trüber und trüber ...

Mein Gott, man könnte weinen drüber!
Lebt mit mehr Freude! ach, ich möcht's
groß wie die Sonne an den Himmel schreiben,
dass es wie Feuer in die Herzen loht ...
lebt mit mehr Freude und ohne die Not
und ohne den Hass und ohne den Neid,
an den ihr das halbe Leben verpasst ...
macht's euch zu Lust und nicht zu Last!
lebt mit mehr Freude,
lebt mit mehr Rast!


Cäsar Flaischlen, 1864-1920







Photo by Michael Fousert on Unsplash

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Am Kamin

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Am Kamin 


Stürme, Dezember, vor meinem Gemach,
Hänge Zapfen von Eis an das Dach;
Nichts doch weiß ich vom Froste;
Hier am wärmenden, trauten Kamin
Ist mir, als ob des Frühlings Grün
Rings um mich rankte und sproßte.


All das Gezweig, wie es flackert und flammt,
Plaudert vom Walde, dem es entstammt,
Redet von seligen Tagen,
Als es, durchfächelt von Sommerluft,
Knospen und Blüten voll Glanz und Duft,
Grünende Blätter getragen.


Fernher hallenden Waldhornklang
Glaub′ ich zu hören, Drosselgesang,
Sprudelnder Quellen Schäumen,
Tropfenden Regen durchs Laubgeäst,
Der die brütenden Vögel im Nest
Weckt aus den Mittagsträumen.


Stürme denn, Winter, eisig und kalt!
An den Kamin herzaubert den Wald
Mir der Flammen Geknister,
Bis ich bei Frühlingssonnenschein
Wieder im goldgrün schimmernden Hain
Lausche dem Elfengeflüster.





Adolf Friedrich Graf von Schack, 1815 - 1894







Photo by Oxana Lyashenko on Unsplash



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Knecht Ruprecht

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Knecht Ruprecht


Draußen weht es bitterkalt,
wer kommt da durch den Winterwald?
Stipp - stapp, stipp - stapp und huckepack -
Knecht Ruprecht ist's mit seinem Sack.
Was ist denn in dem Sack drin?
Äpfel, Mandeln und Rosin'
und schöne Zuckerrosen,
auch Pfeffernüss' fürs gute Kind;
die andern, die nicht artig sind,
die klopft er auf die Hosen.




Martin Boelitz, 1874-1918





Photo copyright: Isabella Kramer





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Stille

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Stille


Der Kirchthurm ragt –.

Und wie in Frost erstarrt sind die Geräusche.

Da rieselt von überladenen harten Fichtennadeln

harter Schnee in Klümpchen ab –.

Dann wieder Stille, Stille, Stille –.

Und der Dichter sagt: »Ich höre die Symphonien der Stille!«



Peter Altenberg, 1859 - 1919



Gemälde copyright: Isabella Kramer

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Weihnacht, wunderbares Land

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Weihnacht, wunderbares Land, 

Weihnacht, wunderbares Land,
Wo die grünen Tannen,
Sternenflimmernd rings entbrannt,
Jeden Pilger bannen!

Glücklich kindlicher Gesang
Schwebt um heilige Hügel,
Schwebt der Heimat Welt entlang,
Sehnsucht seine Flügel.

Friedestarken Geistes Macht
Sehnt sich, zu verbünden,
Über aller Niedertracht
Muß ein Licht sich zünden.

Lebens immergrüner Baum
Trägt der Liebe Krone –
Und ein milder Sternentraum
Küßt die starrste Zone.




Karl Henckell, 1864 -1929




Photo copyright: Isabella Kramer

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Novemberfrau

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Novemberfrau

Nebelschleier, feucht und schwer,
Wallten um die elfte Schwester,
Fröstelnd schreitet sie einher,
Zieht des Mantels Falten fester.

Ihre Augen blicken trüb',
Ach, dahin ist alles Prangen!
Was den heit'ren Schwestern lieb,
Ist zur Ruhe eingegangen.

Aber sieh, des Menschen Lust
Ruht nicht mit den Kreaturen,
Jägereifer in der Brust
Folgt er kühn des Wildes Spuren.

Leicht entdeckt im weichen Schnee
Von der losgelass'nen Meute,
Werden Häslein, Fuchs und Reh
Seiner Flinte sichre Beute.

Auch November, feucht und grau,
Bietet seinem Herzen Freuden,
Und er sieht die hohe Frau
Ungern nur von hinnen scheiden.


Helene Krüger, 1861 - um 1940








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Unverdaulich

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Unverdaulich


Der Löwe saß auf seinem Thron von Knochen

Und sann auf Sklaverei und Tod.

Ein Igel kam ihm in den Weg gekrochen;

Ha! Wurm! so brüllte der Despot

Und hielt ihn zwischen seinen Klauen,

Mit einem Schluck verschling ich dich!

Der Igel sprach: Verschlingen kannst du mich;

Allein du kannst mich nicht verdauen.



Gottlieb Konrad Pfeffel, 1736 - 1809




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Novemberlied




Novemberlied

Der Wald wird still; von dem Idyll,
Das einst als Angebinde
Der Lenz ihm schrieb, nur übrig blieb
Ein welkes Blatt im Winde.
Grau zieht vom Meer der Nebel her
Und weht den Trauerschleier.
Das ist die Zeit, dem Ernst geweiht
Der stillen Totenfeier.

Ach, laut genug mahnt uns der Zug,
Der bleiche, bange, lange;
Sein: nimmermehr! Macht wieder schwer
Das Herz und feucht die Wange. –
Doch nicht hinab auf Graus und Grab
Laßt uns trübsinnig schauen,
Nein, froh hinauf und mit Glückauf
Heut hellem Stern vertrauen!

Der Stern, der warm in Not und Harm
Strahlt auch dem ärmsten Schlucker,
Und allemal wie Sonnenstrahl
Der herben Frucht reift Zucker.
Der, wenn auch oft uns unverhofft
Die Rosen all erfrieren,
Doch sorgt dafür, daß unsre Tür
Noch grüne Maien zieren.

Hoch der Humor! Wer ihn erkor,
Den Stern der wahren Weisen,
Kann wohl mit Fug im Wandelflug
Der Zeit sich glücklich preisen.
Kein trüber Tag, kein Wetterschlag
Macht den zum Weltverächter,
Der sie bezwingt und auf sich schwingt
Mit göttlichem Gelächter.




Theobald Nöthig, 1841 - 1900



Photo copyright: Isabella Kramer



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Herbstzeit

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Herbstzeit

heißt für Schnecken schmausen,
es ist wahrlich gut zu sehen. 
Schneckentempomäßig sausen
sie um alles was noch stehen
kann in Gundis Garten.

Blumen, Blätter, auch Gemüse
stehen auf ihrer Speiseliste,
die mit viel Elan und Schwung
gründlichst durchporbiert gehört.
Gundi kann es kaum ertragen,
Igel Fritz wirkt arg verstört.

So ein Schneckenhufgetrappel,
Löcher, ausfranste Stiele, 
Er fing zehn, doch nächsten Tages
sind es glatt dreimal so viele, 
welche sich an Resten laben,
die vom Garten übrig sind.

Dabei weiß doch jedes Kind,
Schnecken sind des Gärtners Freunde,
helfen sie doch Ordnung halten,
doch in Gundis kleinen Garten
könnten sie ruhig ein, zwei Gänge, 
besser vier mal  runterschalten.
Sonst ist Ordnung wirklich alles,
was hier noch gedeihen kann.

Fritz und Gundis neuer Wahlspruch
lautet drum von heute an: 
"Werte Schnecken, seid so lieb , 
schleicht euch flugs nach nebenan,
besser noch, geht ihr auf Reisen,
denn sonst gibt es hier einen Krieg,
das ist wahrlich so versprochen!"

Nun wir werden's euch erzählen,
wie das Drama weiterging, 
ob die Schnecken weggekrochen,
oder von der Gärtner Sieg...




veredit©isabella.kramer2021




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Isabella Kramer


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Kinder-Gedichte-Welt
Kinder-Gedicht...
Von Isabella Kramer
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Die Kugeln

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Die Kugeln

Palmström nimmt Papier aus seinem Schube.
Und verteilt es kunstvoll in der Stube.

Und nachdem er Kugeln draus gemacht.
Und verteilt es kunstvoll, und zur Nacht.

Und verteilt die Kugeln so (zur Nacht),
daß er, wenn er plötzlich nachts erwacht,

daß er, wenn er nachts erwacht, die Kugeln
knistern hört und ihn ein heimlich Grugeln

packt (daß ihn dann nachts ein heimlich Grugeln
packt) beim Spuk der packpapiernen Kugeln ...



Christian Morgenstern, 1871 - 1914



Photo by Nathan Wright on Unsplash

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Wie schändlich!



Wie schändlich du gehandelt,
Ich hab es den Menschen verhehlet,
Und bin hinausgefahren aufs Meer,
Und hab es den Fischen erzählet.

Ich laß dir den guten Namen
Nur auf dem festen Lande;
Aber im ganzen Ozean
Weiß man von deiner Schande.



Heinrich Heine, 1797 - 1856


Photo copyright: Isabella Kramer
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Herbst

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Herbst

Astern blühen schon im Garten; 
Schwächer trifft der Sonnenpfeil
Blumen, die den Tod erwarten
Durch des Frostes Henkerbeil. 

Brauner dunkelt längst die Heide, 
Blätter zittern durch die Luft. 
Und es liegen Wald und Weide
Unbewegt im blauen Duft. 

Pfirsich an der Gartenmauer, 
Kranich auf der Winterflucht. 
Herbstes Freuden, Herbstes Trauer, 
Welke Rosen, reife Frucht. 




Detlev von Liliencron, 1844-1909






Photo copyright: Isabella Kramer
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Der Gorilla

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Der Gorilla

Er atmet ihre Schwüle längst nicht mehr,
Doch lastet seinem Nacken immer noch der Traum der großen Seen
Und läßt ihn tief zum Sand gebückt und schwer
Im Takt zur Wiederkehr der Eisenstäbe gehn.
Er möchte wohl der Glanz der Papageien sein,
Das Duften der Reseden und der Walzerklang,
Doch bricht kein Strahl den trüben Spiegel seines Auges ein:
Die Hand trägt still gefaltet den beträumten Gang
Dem fremden Leuchten still und fremd vorbei.
Manchmal, im Schrei,
Der fernher trifft, fühlt er sich jäh dem Schlund
Des Schlafes steil emporgereckt entragen
Und knirschend seiner Stirne aufgewandtes Rund
An steingewölbte Firmamente schlagen.




Maria Luise Weissmann, 1899 - 1929



Photo by James Rajaste on Unsplash

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Ein dicker Sack

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Ein dicker Sack 

Ein dicker Sack - den Bauer Bolte,
Der ihn zur Mühle tragen wollte,
Um auszuruhn, mal hingestellt
Dicht bei ein reifes Ährenfeld -
Legt sich in würdevolle Falten
Und fängt 'ne Rede an zu halten.
»Ich«, sprach er, »bin der volle Sack.
Ihr Ähren seid nur dünnes Pack.
Ich bin's, der euch auf dieser Welt
In Einigkeit zusammenhält.
Ich bin's, der hoch vonnöten ist,
Daß euch das Federvieh nicht frißt;
Ich, dessen hohe Fassungskraft
Euch schließlich in die Mühle schafft.
Verneigt euch tief, denn ich bin der!
Was wäret ihr, wenn ich nicht wär'?«
Sanft rauschen die Ähren:
»Du wärst ein leerer Schlauch,
Wenn wir nicht wären.«


Wilhelm Busch





Photo copyright: Isabella Kramer
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Pilzlied

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Pilzlied

strahlen kann ich
kleidet mich doch
ganz ungemein
mein neuer Hut

schützt mich -
nie mehr zaust
der Herbstwind
mein Haar

hält mir die Tränen
des Waldes fern
schütz meinen Fuß
dass ich mich einlasse

hier kann ich wurzeln
Jahr für Jahr
in meinen Kindern
weiterleben





veredit©isabella.kramer 16.09.08



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Die Eulen

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Die Eulen

Geschirmt von schwarzen Eibenbäumen,
Sitzt stumm der Eulen Schwarm gereiht,
Wie fremde Götzen grauer Zeit
Ihr rotes Auge glüht. Sie träumen.

So halten sie sich regungslos,
Bis zu der Stunde still verbleibend,
Da schrägen Sonnenstrahl vertreibend
Die Nacht sich breitet; schwarz und groß.

Dem Weisen lehrt die Ruhgebärde,
Daß er mit Recht auf dieser Erde
Lärm und Bewegung fürchten mag.

Den Menschen, den ein Nichts erregte,
Trifft stets der Strafe harter Schlag,
Daß er vom Platze sich bewegte.




Charles Baudelaire, 1821 - 1867






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Moderne Lebensweisheit - eine Epistel

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Moderne Lebensweisheit

[Eine Epistel]

Komm' her, mein Sohn, ich will dich Weisheit lehren:
Zuerst vor allem ist es deine Pflicht,
Du mußt den König und die Kirche ehren,
Denn ohne diese beiden geht es nicht. 
Dann mußt du mit der Polizei dich stellen

Auf guten Fuß – und mit den Hunden bellen
Nach Hundeart – doch darfst du unterdessen
Zurzeit dabei das Wedeln nicht vergessen. 
Fehlt auch der Schwanz, man kann es so schon machen
Und sichert sich dabei recht schöne Sachen

An Gunst und Geld, du siehst es ja bei mir. 
Zum Muster nimm dir auch das Schneckentier 
Durch Überhastung schadet man sich viel 
Wo du nicht geh'n kannst, kriech' gemach zum Ziel. 
Auch übe dich recht fleißig im Lavieren 

Dreht sich der Wind – du mußt es gleich verspüren
Und dich mitdreh'n – oft hält dies sehr genau 
Sei nicht zu hitzig, doch auch nicht zu lau. 
Hab' nie 'ne Meinung, die verstößt nach oben,
Und sei gewandt im Tadeln und im Loben,

Ganz selbstverständlich, wo's am Platze ist. 
Daß du dich stets gerierst als guter Christ,
Als Patriot und stramme Ordnungsstütze,
Ist unerläßlich und zu vielem nütze. 
Dann noch, mein Sohn, beherzige die Lehr':

Laß es an Lust und Müh' dir nicht verdrießen 
Der Anfang ist in allen Dingen schwer 
Sei nur beharrlich und du wirst genießen
Gar reichen Lohn, wenn erst die Ernte reif. 
Wahr' stets den Schein – doch auf die Skrupeln pfeif,

Denn was man so im Leben nennt Gewissen,
Ist für die Dummheit gut – drum sei beflissen,
Das Ding den andern fleißig vorzuführen,
Dich selber darf's in keinem Fall genieren,
Emporzuklimmen auf der Lebensbahn 

Das Wörtchen ›Ehre‹ ist ein bloßer Wahn. 
Anseh'n ist gut – doch besser ist das Geld,
Und bist du erst zur Million geschnellt,
Ich sag' es dir zu deinem Nutz und Frommen,
So werden leicht noch Millionen kommen,

Und alles and're kommt von selbst mit an: 
Die Titel, Orden und der Ehrenmann 
Magst du auch im geheimen drüber lachen 
Es hält die Welt gar viel auf solche Sachen. 
Du aber, Sohn, beherzige zum Schluß

Die Quintessenz von meinem ganzen Rat:
Der Weisheit A und O ist der Genuß 
Nach uns die Sündflut und – der Zukunftsstaat. 



Heinrich Kämpchen, 1847 - 1912




Photo copyright: Isabella Kramer
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Morgen



Morgen

Lichter und Schatten im Wechseltanz
gaukeln über die goldenen Ähren.
Roter Mohn in leuchtendem Glanz
träumt von wundersamen Mären.
Blühendes Leben in weiter Rund'.
Aber tief im Halmengrund
klingt wie Sensenschlag ein Ton:
Morgen schon,
morgen!




Jacob Loewenberg, 1856 - 1929




Photo copyright: Isabella Kramer

Gewitter

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Gewitter

Die Tanne stöhnt und ächzt im Sturm,
Die starken Äste krachen,
Der Regen strömt, unheimlich schallt
Der Schrei der Eule durch den Wald
Wie wildes, schrilles Lachen.

Die Wolken ziehen grau und schwer,
Die grellen Blitze flammen,
Der Donner kracht, – dumpf rollt es nach –
Als bräche jäh beim nächsten Schlag
Die ganze Welt zusammen!

Doch wilder ist als Sturm und Wind
Mein sehnendes Verlangen!
Jäh, wie der Blitz die Nacht zerreißt,
Erscheint mein Glück vor meinem Geist,
Das gar zu schnell vergangen.

Und wenn der Wetterstrahl erlischt,
Scheint tiefer noch das Düster. –
Dein Nachglanz, Du verlor'nes Glück,
Enthüllt die Zukunft meinem Blick
Nur grauser noch und wüster!



Melanie Ebhardt, 1879 - 1919







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Die blaue Hortensie

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Blaue Hortensie

So wie das letzte Grün in Farbentiegeln
sind diese Blätter, trocken, stumpf und rau,
hinter den Blütendolden, die ein Blau
nicht auf sich tragen, nur von ferne spiegeln.

Sie spiegeln es verweint und ungenau,
als wollten sie es wiederum verlieren,
und wie in alten blauen Briefpapieren
ist Gelb in ihnen, Violett und Grau.

Verwaschnes wie an einer Kinderschürze,
Nichtmehrgetragnes, dem nichts mehr geschieht:
wie fühlt man eines kleinen Lebens Kürze.

Doch plötzlich scheint das Blau sich zu verneuern
in einer von den Dolden, und man sieht
ein rührend Blaues sich vor Grünem freuen.


Rainer Maria Rilke, 1875 - 1926



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Waldgefühle

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Waldgefühle


federnde Schritte
auf moosigen Pfaden
sandklare Bäche
murmeln in Moll

Säulenriesen warten
Äonen von Jahren 
wiegende Häupter wandeln
Licht in Strahlenfinger

Goldsprenkel im Farn
Lippen voll Himbeersaft
du hast Blätter im Haar!
ein Häher warnt

tiefgrüne Augen 
mooriger Seen 
Waldstimme flüstert
Kommt wieder!


veredit©Isabella.Kramer2008









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Schwebende Zukunft

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Schwebende Zukunft

Habt ihr einen Kummer in der Brust
Anfang August,
Seht euch einmal bewußt
An, was wir als Kinder übersahn.

Da schickt der Löwenzahn
Seinen Samen fort in die Luft.
Der ist so leicht wie Duft
Und sinnreich rund umgeben
Von Faserstrahlen, zart wie Spinneweben.

Und er reist hoch über euer Dach,
Von Winden, schon vom Hauch gepustet.
Wenn einer von euch hustet,
Wirkt das auf ihn wie Krach,
Und er entweicht.

Luftglücklich leicht.
Wird sich sanft wo in Erde betten.
Und im Nächstjahr stehn
Dort die fetten, goldigen Rosetten,
Kuhblumen, die wir als Kind übersehn.

Zartheit und Freimut lenken
Wieder später deren Samen Fahrt.
Flöge doch unser aller Zukunftsdenken
So frei aus und so zart.



Joachim Ringelnatz, 1883 - 1934



Photo copyright: Isabella Kramer
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Lieb Kindlein, gute Nacht!

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Lieb Kindlein, gute Nacht!

Vom Berg hinabgestiegen
ist nun des Tages Rest.
Mein Kind liegt in der Wiegen,
die Vöglein all' im Nest.
Nur ein ganz klein Singvögelein
ruft weit daher im Dämmerschein:
Gut' Nacht, gut' Nacht!
lieb Kindlein, gute Nacht!

Das Spielzeug ruht im Schreine,
die Kleider auf der Bank,
ein Mäuschen ganz alleine,
es raschelt noch im Schrank.
Und draußen steht der Abendstern
und winkt dem Kind aus weiter Fern:
Gut' Nacht, gut' Nacht!
lieb Kindlein, gute Nacht!

Die Wiege geht im Gleise,
die Uhr tickt hin und her;
die Fliegen nur ganz leise,
sie summen noch daher.
Ihr Fliegen, laßt mein Kind in Ruh,
was summet ihr ihm so heimlich zu?
Gut' Nacht, gut' Nacht!
lieb Kindlein, gute Nacht!

Die Vögel und die Sterne,
die Fliegen rings umher,
sie haben mein Kind so gerne,
die Engel noch viel mehr.
Sie decken's mit den Flüglein zu
und singen leise: Schlaf in Ruh!
Gut' Nacht, gut' Nacht!
lieb Kindlein, gute Nacht!


Robert Reinick, 1805 - 1852



Photo copyright: Isabella Kramer

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Der Papagei

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Der Papagei


Es war einmal ein Papagei,
der war beim Schöpfungsakt dabei
und lernte gleich am rechten Ort
des ersten Menschen erstes Wort.

Des Menschen erstes Wort war A
und hieß fast alles, was er sah,
z.B. Fisch, z.B. Brod,
z.B. Leben oder Tod.

Erst nach Jahrhunderten voll Schnee
erfand der Mensch zum A das B
und dann das L und dann das Q
und schließlich noch das Z dazu.

Gedachter Papagei indem
ward älter als Methusalem
bewahrend treu in Brust und Schnabel
die erste menschliche Vokabel.

Zum Schlusse starb auch er am Zips.
Doch heut noch steht sein Bild in Gips,
geschmückt mit einem großen A,
im Staatsschatz zu Ekbatana.



Christian Morgenstern, 1871 - 1914




Gemälde copyright: Isabella Kramer

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Der Gesang des Meeres

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Der Gesang des Meeres

Wolken, meine Kinder, wandern gehen
Wollt ihr? Fahret wohl! Auf Wiedersehen!
Eure wandellustigen Gestalten
Kann ich nicht in Mutterbanden halten.

Ihr langweilet euch auf meinen Wogen,
Dort die Erde hat euch angezogen:
Küsten, Klippen und des Leuchtturms Feuer!
Ziehet, Kinder! Geht auf Abenteuer!

Segelt, kühne Schiffer, in den Lüften!
Sucht die Gipfel! Ruhet über Klüften!
Brauet Stürme! Blitzet! Liefert Schlachten!
Traget glühnden Kampfes Purpurtrachten!

Rauscht im Regen! Murmelt in den Quellen!
Füllt die Brunnen! Rieselt in die Wellen!
Braust in Strömen durch die Lande nieder –
Kommet, meine Kinder, kommet wieder!



Conrad Ferdinand Meyer, 1825 - 1898




Photo copyright: Isabella Kramer

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Hände



Hände

Hände gibt's, die weinen, lachen,
arge Hände, gütige Hände,
die uns schlafen, die uns wachen,
die uns werden Lebenswende;

die uns in den Himmel tragen,
die uns in die Hölle führen;
die im Wort, Ton, Stein uns sagen,
was ein Herz von Stein muß rühren;

die uns Gott und Teufel malen.
Alles, alles schaffen Hände:
höchste Wonnen, tiefste Qualen.
… Wer zu deuten sie verstände,

oh! Der wüßte manche Klarheit,
welche ihm nie Lippen sagen,
als geheimnisvolle Wahrheit
sich zum Schutz nach Haus zu tragen.



Karl Ernst Knodt, 1856 - 1917





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Juli-Schwermut

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Juli-Schwermut
(An Ernest Dowson)

Blumen des sommers duftet ihr noch so reich:
Ackerwinde im herben saatgeruch
Du ziehst mich nach am dorrenden geländer
Mir war der stolzen gärten sesam fremd.

Aus dem vergessen lockst du träume: das kind
Auf keuscher scholle ratend des ährengefilds
In ernte-gluten neben nackten schnittern
Bei blanker sichel und versiegtem krug.

Schläfrig schaukelten wespen im mittagslied
Und ihm träufelten auf die gerötete stirn
Durch schwachen schutz der halme-schatten
Des mohnes blätter: breite tropfen blut.

Nichts was mir je war raubt die vergänglichkeit.
Schmachtend wie damals lieg ich in schmachtender flur
Aus mattem munde murmelt es: wie bin ich
Der blumen müd – der schönen blumen müd.




Stefan George, 1868 - 1933




Photo copyright: Isabella Kramer
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Die Erdbeere

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Die Erdbeere

Bei heißen Sonnenbränden,
Du Beere, duftig, roth,
Mit nimmermüden Händen
Pflückt dich das Kind der Noth.

Es sieht die Fülle prangen
Und unterdrückt dabei
Das eigene Verlangen,
Wie mächtig es auch sei.

Gehäuften Topf und Teller
Trägt es zum Händler dann;
Der geizt noch mit dem Heller –
Er ist ein kluger Mann.

Doch nicht bei seines Gleichen
Vollendet sich der Kreis:
Erst auf dem Tisch des Reichen,
Der zu bezahlen weiß.

So wird zur Menschenhabe
Und dient dem Wucher nur
Selbst deine frei'ste Gabe,
O liebende Natur!




Ferdinand von Saar, 1833 - 1906



Gemälde copyright: Isabella Kramer 


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