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Abgesehen von der Profitlüge

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Abgesehen von der Profitlüge


Die kurzen Beine der Lüge sind
Auch nur etwas Relatives.
Ein Segler kreuzend gegen Wind
Ist immer etwas Schiefes.

Ob sie aus Anstand, aus Mitleid gibt,
Sich hinter der Kunst will schützen,
Wenn sie nicht innerst sich selber liebt,
Wird Lüge niemandem nützen.

Es gibt eine Lüge politisch und kühn,
Und die ist auch noch zu rügen.
Ich meine: Wir sollten uns alle bemüh'n,
Möglichst wenig zu lügen.


Joachim Ringelnatz, 1883 - 1934








Photo copyright: 
Isabella Kramer


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Weihnacht

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Weihnacht 

Ein Augenblick im Meer der Zeiten,
In dem die stillen Stimmen tönen,
Die sonst der Tag verdeckt mit seinem lauten Schrei'n
Der Augenblick, indem die Kerzen brennen,
Die heiligen Kerzen, die der Liebe leuchten,
Da jedes Herz es ahnt was Friede sei. - 

In dieser Stille zwischen heut und morgen,
In dieser Handvoll weniger Minuten,
Besinnt der Mensch sich auf sein tiefstes Glück
Lauscht auf die leise Melodie der Liebe -
Und geht dann neu zu seinem Tag zurück.




Elisabeth Dauthendey, 1854-1943







Photo copyright: Isabella Kramer

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Fichtentraum

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Fichtentraum

Ein Fichtenbaum steht einsam
Im Norden auf kahler Höh'.
Ihn schläfert; mit weißer Decke
Umhüllen ihn Eis und Schnee.

Er träumt von einer Palme,
Die, fern im Morgenland,
Einsam und schweigend trauert
Auf brennender Felsenwand.




Heinrich Heine, 1797 - 1856








Foto von Denys Nevozhai auf Unsplash

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Fischer Wichtel

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Fischer Wichtel 

Gunnar Garrlson ist sein Name
und man rollt dabei das R,
das kann Gunnar echt gut leiden
fast so sehr wie jedes Meer,
dass der Gunnar je befahren.
Ja, da staunst du ganz zu Recht, 
denn das Wichtel gern zur See fahr'n,
weiß fast niemand, das steht fest. 

Gunnar ist schon so geboren,
immer eine Hand am Fisch
und wo andere seekrank wurden,
ist der Gunnar munter, frisch.
Sturm ist seine zweite Heimat,
ihm kann's gar nicht genug brausen.
Gunnar liebt es wichtelmäßig
über Wellen hinzusausen. 

Dabei hilft er, wo er kann,
ob beim Fischfang ganz weit draußen,
oder wenn die Mannschaft wieder vorhat
einen Hafen anzulaufen. 
Gunnar ist ein Fischerwichtel,
wie es keinen zweiten gibt.
Und sein Weihnachtsdienst am Leuchtturm,
macht ihn gleich noch mehr beliebt.

Klar, das wär' kein Heiligabend 
ohne Gunnars leck'ren Fisch.
Leuchtturmwärters Gattin Gesche
brät ihn, zack, steht auf dem Tisch
ein Kanne Wichtelsaft
und das krosse Brot vom Hinnack.
Ja, das gibt so richtig Kraft,
für ein neues Wichteljahr,
wie wir Gunnar viele wünschen,
ob in grünen Gummistiefel oder 
selbstgestrickten Strümpfen. 




veredit©isabella.kramer2022


Hier gibt es noch ein kleines -> Video zum Bild




Gemälde copyright: Isabella Kramer 


Enthalten in dem Gedichtband Kinder-Gedichte-Welt. Einige wenige Exemplare sind über mich persönlich erhältlich oder via Blurb.de 

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Kinder-Gedichte-Welt
Kinder-Gedicht...
Von Isabella Kramer
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Kontakt über email: vere_dit@yahoo.de



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Zauberschwestern

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Zauberschwestern

Zwiefach sind die Fantasien,
Sind ein Zauberschwesternpaar,
Sie erscheinen, singen, fliehen
Wesenlos und wunderbar.

Eine ist die himmelblaue,
Die uns froh entgegenlacht;
Doch die andre ist die graue,
Welche angst und bange macht.

Jene singt von lauter Rosen,
Singt von Liebe und Genuß;
Diese stürzt den Hoffnungslosen
Von der Brücke in den Fluß.




Wilhelm Busch, 1832 - 1908





Photo copyright: 
Isabella Kramer

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Böser Traum

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Böser Traum.

In meinem Traume sah ich ihn,
in seinen Händen stark und kühn
Schwert und Dolch, vorüberziehn,
wie über die Haide das Ungewitter,
den Ritter

der deutschen Balladen,
der auf Thal- und Waldespfaden,
an Fluss- und Meergestaden,
vorbei an Land und Stadt und Schloss
sein Ross,

schwarz und rot wie in Flammen getränkt,
mit Zaum und Zügel nie behängt,
ohne Zuruf, Gebiss und Peitsche lenkt,
mit dumpfem Röcheln von Ort zu Ort,
immerfort, immerfort.

Ein Filzhut mit langer Feder schützt
sein dunkles Auge, das tiefgeschlitzt
glüht und wieder erlischt. So blitzt
und verglüht im Nebel bei Feuers Strahl
funkelnder Stahl.



Paul Verlaine,1844 - 1896






Photo by Les Anderson on Unsplash


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Erster Schnee

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Erster Schnee

Wie plötzlich doch bedeckt mit Eis
So Strauch und Bäume steh'n,
Auf letztem Grün das erste Weiß,
Wie traurig ist's zu seh'n!

Was bangst du, Herz? Sei frisch und kühn
Und denk', wenn Flocken weh'n:
Auf letztem Weiß das erste Grün,
Wie lieblich wird das steh'n!




Johann Nepomuk Vogl, 1802 - 1866









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Isabella Kramer 


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Bangnis

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Bangnis

Im welken Walde ist ein Vogelruf,
Der sinnlos scheint in diesem welken Walde.
Und dennoch ruht der runde Vogelruf
In dieser Weile, die ihn schuf,
Breit wie ein Himmel auf dem welken Walde.
Gefügig räumt sich alles in den Schrei.
Das ganze Land scheint lautlos drin zu liegen,
Der große Wind scheint sich hineinzuschmiegen,
Und die Minute, welche weiter will,
Ist bleich und still, als ob sie Dinge wüßte,
An denen jeder sterben müßte,
Aus ihm herausgestiegen.


Rainer Maria Rilke, 1875 - 1926





Foto von Laterjay Photography auf Unsplash

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Tiere im Wald

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Tiere im Wald

Wald, wie betreuend
verhüllst du die Tiere
in deinem unendlichen
Rauschen und Schweigen.
Fern den Menschen
sind sie am schönsten.
Geheim im Blau.
Selten, daß dir ein Reh
am Waldrand scheulos begegnet.
Den runden Tierblick
in deine Menschenaugen taucht.
– Und ward es dir nicht
wie ein geisterhaftes Berühren,
Wink aus dem Zwischenreich
deine Sehnsucht schmerzend –?

Tiere und Bäume
sind sinnvoll verschwistert,
teilen des Waldes Geheimnis.


Francisca Stoecklin, 1894 - 1931





Foto von Saad Chaudhry auf Unsplash

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Um Mitternacht zu singen!

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Um Mitternacht zu singen!

Auf den Rabenklippen bleichen Knabenrippen
und der Mond verkriecht sich duster ins Gewölk
rings im Kringel schnattern schwarze Ringelnattern
und der Uhu naht sich mit Gebölk

Mit den Tatzen kratzen bleiche Katzenfratzen
an dem Leichenstein, der Modergruft.
Furchtbar, schrecklich, gräßlich, greulich, eklig, häßlich
tönt ihr Wehgewinsel durch die Luft

Tief im Moore brodelt´s und im Chore jodelt´s
in die kohlpechrabenschwarze Nacht hinaus
keine Brandungslücke, keine Landungsbrücke
gibt´s in diesem Meer von Schreck und Graus

Selbst ein dummer Stänker wird ein stummer Denker
wenn er soviel Grauses hört und schaut
Trinkt noch schnell ´nen Bittern, sinkt zur Stell mit Zittern
mit ´ner Kreidehaut ins Heidekraut

Drum, ihr tollen Zecher, hebt die vollen Becher
besser sitzt es sich doch hier beim Wein
als auf Rabenklippen, wo die Knabenrippen
bleichen bei des Neumonds finstrem Schein


Heinrich Seidel





Photo copyright: Isabella Kramer

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Ein H-Gedicht

 



Ein H-Gedicht


Hiltrud hascht nach Hagebutten.
Harzer Hallimasch schmeckt lecker!

Heckenigel häufig husten.
Hanni hofft auf gutes Wetter,

Herbstwinde die heftig pusten
hunderttausend Herbstwäldblätter.

Hedwig häkelt gerne Hüte, 
Horst fänd' eigentlich Handschuh netter. 

Helga haucht auf Scheiben Herzen.
Hektor sucht verzweifelt Kerzen.

Heringshappen sind recht sauer,
Hasenkinder sind viel schlauer,

als man unlängst noch vermutet.
Hosenträger sind was Gutes. 

Heidrun strickt 'ne Haube sich, 
warum eigentlich nicht für mich. 

Heißer Heinrich macht betrunken.
Holger hätschelt kranke Unken.

Heidelinde heult of heftig,
Hefeknödel schmecken deftig.

Haltet ein!, ruft Hans der Wicht,
und so schließt das H-Gedicht.



veredit©isabella.kramer23 



 ABC Reihe für Kinder 





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Alte Worte

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Alte Worte


Greise sinnen.
Eine große graue Spinne.
Netze schleiern,
Fäden rinnen.

Die Jahrhundert grauen Wälder
Tragen ernst den alten Himmel,
Und verdorrte, alte Lippen
Nippen an dem kalten Horte
Längst verglühter alter Worte.




Max Dauthendey, 1867 - 1918






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Weg

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Weg

Mit dem Monde will ich wandeln:
Schlangenwege über Berge
Führen Träume, bringen Schritte
Durch den Wald dem Monde zu.

Durch Zypressen staunt er plötzlich,
Daß ich ihm entgegengeh.
Aus dem Ölbaum blaut er lächelnd,
Wenn michs friedlich talwärts zieht.

Schlangenwege durch die Wälder
Bringen mich zum Silbersee:
Nur ein Nachen auf dem Wasser,
Heilig oben unser Mond.

Schlangenwege durch die Wälder
Führen mich zu einem Berg.
Oben steht der Mond und wartet,
Und ich steige leicht empor.




Theodor Däubler, 1876 - 1934





Photo copyright: Isabella Kramer


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Liebe

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Liebe

Liebe berauscht, sagt man.
Liebe ernüchtert, sagt man.
Liebe läßt klar sehen, sagt man.
Liebe macht blind.
Liebe verdirbt.
Liebe veredelt.
Liebe stärkt.
Liebe schwächt.
Liebe bringt Pein,
und Liebe bringt Glück.
Wo, wer ist jener Sagtman?
Liebe macht gar nichts, erwidere ich ihm.
Wir machen die Liebe zu dem, was sie uns wird.


Gottfried Keller, 1819 - 1890









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Das Schilf

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Das Schilf

Stille, er schläft, stille! stille!
Libelle, reg die Schwingen sacht,
Daß nicht das Goldgewebe schrille,
Und, Ufergrün, halt gute Wacht,
Kein Kieselchen laß niederfallen.
Er schläft auf seinem Wolkenflaum,
Und über ihn läßt säuselnd wallen
Das Laubgewölb' der alte Baum;
Hoch oben, wo die Sonne glüht,
Wieget der Vogel seine Flügel,
Und wie ein schlüpfend Fischlein zieht
Sein Schatten durch des Teiches Spiegel.
Stille, stille! er hat sich geregt,
Ein fallend Reis hat ihn bewegt,
Das grad zum Nest der Hänfling trug;
Su, Su! breit, Ast, dein grünes Tuch –
Su, Su! nun schläft er fest genug.



Annette von Droste-Hülshoff, 1797 - 1848



Photo copyright: Isabella Kramer

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Drinnen im Strauß

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Drinnen im Strauß

Der Abendhimmel leuchtet wie ein Blumenstrauß;
Wie rosige Wicken und rosa Klee sehen die Wolken aus.
Den Strauß umschließen die grünen Bäume und Wiesen,
Und leicht schwebt über der goldenen Helle
Des Mondes Sichel wie eine silberne Libelle.
Die Menschen aber gehen versunken tief drinnen im Strauß,
wie die Käfer trunken, und finden nicht mehr heraus.



Max Dauthendey, 1867 - 1918




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Isabella Kramer

Krebs-Gedicht, oder auch nicht

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Krebs-Gedicht, oder auch nicht...

Von Krebsen wollte ich euch schreiben,
von Krabbelwesen diesen leisen, die nachts 
sich unterm Bett verstecken und dort die großen
Monster wecken, die nur ein warmes
Licht vertreibt oder wenn Paps die Stirn 
einreibt mit jener Paste, die so duftet, 
wie ein kompletter Feenwald. 

Sofort sind Krebs und Krabbelwesen,
selbst Monster fort in jenem Spalt,
den Liebe und Fürsorge gibt.
Darum ist der auch so beliebt.

Und so gesehen, sollt' ich passen, 
die Krebse Krebse sein lassen,
im Meer, am Strand, wo sie auch leben,
besser auch mich ins Bett begeben.
Schnurstracks und ohne jede Zirkus, 
kein Krebsgedicht, nur einfach Schluss. 




veredit©isabella.kramer23 





.zur Hörversion geht es hier -> Krebs-Gedicht oder auch nicht 
 





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Der Einsiedler

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Der Einsiedler

Er hatte seit Jahren nicht mehr gesät
Verstreut noch reifte ihm das Getreide
Zuletzt ließ er den Hafer ungemäht
Sein Pferd verlor sich auf der Weide.

Er brach eine Zeit noch Beeren vom Ast
Als müßte er einen Hunger stillen
Dann vergaß er auch diese letzte Last
Um seiner tieferen Ruhe willen.

Er saß vor der Hütte bei Tag und Nacht
Die Hütte verfiel in Wind und Regen
Allmählich wuchsen die Gräser sacht
Seinen Füßen und Knien entgegen

Und wuchsen langsam durch seine Hand.
Er ward wie ein Sieb, ohne Außen und Innen.
Gleichmäßig und ganz ohne Widerstand
Konnten die Jahre durch ihn rinnen.




Maria Luise Weissmann, 1899 - 1929



Photo copyright: Isabella Kramer

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Der Kirschenstrauß

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Der Kirschenstrauß


Blond und fein, ein Lockenköpfchen,
Das kaum vier der Jahre hat,
Trippelt ängstlich durch das Gäßchen,
Jeder Schritt noch eine Tat.

Eier trägt es in den Händen,
Die es so verlegen hält,
Wie auf alten Kaiserbildern
Karl der Große seine Welt.

Arme Kleine! Wenn sie fielen,
Gäb' es keinen Kuchen mehr,
Und der Weg ist so gefährlich
Und das Herzchen pocht so sehr!

Hätte sie geahnt, wie teuer
Oft sich büßt der Tatendrang,
Nimmer hätt' sie ihn der Mutter
Abgeschmeichelt, diesen Gang.

Dennoch käm' sie wohl zu Hause,
Forderte der Kirschenstrauß,
Den die Krämerin ihr schenkte,
Nur den Durst nicht so heraus.

Doch sie möchte eine kosten
Von den Beeren rund und rot,
Denn es sind für sie die ersten,
Und das bringt ihr große Not.

Ihre Hand zum Mund zu führen,
Wagt sie nimmer, denn das Ei
Könnte ihr derweil entschlüpfen,
Hält sie doch den Strauß dabei.

Drum versucht sie's, sich zu bücken,
Doch die Kluft ist gar zu weit,
Und sie spitzt umsonst die Lippen
Nach der würz'gen Süßigkeit.

Aber sie gerät ins Straucheln,
Und das Unglück wär' geschehn,
Bliebe sie nicht auf der Stelle
Wie erstarrt vor Schrecken, stehn.

Denn die Eier wollten gleiten,
Und sie hält sie nur noch fest,
Weil sie beide unwillkürlich
Gegen Leib und Brust gepreßt.

Lange wird es zwar nicht dauern:
Bellt der erste kleine Hund,
Fährt sie noch einmal zusammen,
Und sie rollen auf den Grund.

Doch da springt, den Küchenlöffel
In der mehlbestäubten Hand,
Ihr die Mutter rasch entgegen,
Und das Unglück ist gebannt.


Friedrich Hebbel, 1813 - 1863





Foto von Maja Vujic auf Unsplash

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Die Genevernixe

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Die Genevernixe

In einen Krämerladen,
Es mochte täglich sein,
Trat lächelnd, wie aus Gnaden,
Ein sittsam Fräulein ein.
Und kauft sich Wacholderbeeren,
Hat weiter kein Begehren
Als diesen Wunsch allein.

Die andern Kunden staunten,
Und fragten hin und her,
Und wie sie rieten, raunten,
Das Rätsel wurde schwer.
Das Fräulein schien wie ein Engel,
Fehlt nur der Lilienstengel
Als Gottes Unschuldswehr.

Als einmal voll die Diele,
Trat wieder sie herein,
Und handelt sich am Ziele
Die schwarzen Beeren ein.
Da fangen sie an zu lachen
Und ihre Glossen zu machen:
Seht nur den Heiligenschein.

Und stumm zieht sie von dannen,
Und wird nicht blaß, noch rot,
Doch ihre Tränen rannen,
Als wärs in Angst und Not.
Und sie wendet sich mit Beben:
Mir kauft ich das ewige Leben,
Ihr aber kauft euch den Tod.

Dann geht sie durchs Gedränge,
Durch Gassen fort zum Fluß,
Begleitet von der Menge,
Die folgt ihr, weil sie muß,
Und sieht im Strom sie versinken,
Und unter Sternenblinken
Ufert ein Wellenkuß.



Detlev von Liliencron, 1844 - 1909



Foto von Mimipic Photography auf Unsplash

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Das Karussell

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Das Karussell

Sie standen stumm und lauschten dem Getön
Verstimmter Instrumente tief in Schlaf:
Die starren Tiere, bunt und wunderschön.
Da sie ein Kinderblick in Schmerz betraf,

Erwachten sie. Die Löwenmähne flog
Im Wind. So klang vom Elefantenzahn
Geläut der Schellen. Rüssel schnob. Es zog
In langem Zug die stolze Karawane

Dahin. Vor ihrem steilen Aufbruch lag
Ein Palmenwald, verstrickt in Abenteuer,
Aus Lichtraketen schoß der heiße Tag,
Kakteen brannten, purpurn, ungeheuer.



Maria Luise Weissmann 1899 - 1929




Gemälde copyright: 
Isabella Kramer 


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Strandidyll

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Strandidyll

Auf dem Rücken im warmen Sand
Nie ein schöneres Lager ich fand.
Murmelnde, kichernde Wellen zu Füßen,
Oben im Wind ein Lispeln und Grüßen
Schwankender Halme und leises Gesumm
Sammelnder Bienen, sonst Stille ringsum.
Ja, ringsum!
Nur selten, bald ferne, bald nahebei
Ein Möwenschrei.

Durch das halbgeöffnete Lid
Blinzelt das Auge hinüber zum Ried.
Blendendes, zitterndes Sonnengegleiße;
Schmetterlingsspiele. Blaue und weiße
Kinder der Stunde. Nun löst aus der Schar
Sich ein bläulich geflügeltes Paar,
Liebespaar!
Das schaukelt und gaukelt und flügelt und giebt
Sich sehr verliebt.

Plötzlich, ei fällt denn der Himmel ein?
Weitet sich, breitet sich bläulicher Schein.
Lässt sich das zärtliche Pärchen nieder
Frech mir gerad' auf die Augenlider?
Aber schon merk' ich's am salzigen Geruch,
Und schon fühl' ich's am derben Tuch,
Schürzentuch,
Und hör es am Lachen, die Grete, die Katz,
Beschlich ihren Schatz.

Seit an Seit und Hand in Hand,
Schäferstündchen am stillen Strand.
Schmeichelnder Wind und schäkernde Wellen;
Faltergeschwirr im zitternden, hellen
Sonnengeflirr überm Dünenhang;
Irgendwoher ein verwehter Klang,
Glockenklang,
Und Hundegebell und das klägliche Muh
Einer einsamen Kuh.




Gustav Falke, 1853 - 1916



Photo copyright: Isabella Kramer

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Mittagszauber

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Mittagszauber

Goldstaub die Luft! – Der stille Park verträumt,
Die Rosen schwer, vom eignen Dufte trunken,
Und jeder Halm von weißem Licht umsäumt,
Und selbst das Erlenlaub in Schlaf versunken.

Es ist so still – nur dann und wann im Hag
Ein Wachtelruf, des Hähers Liebeslocken,
Ein schluchzend abgebrochner Amselschlag,
Ein kurzes Brausen wie versunkne Glocken.

Ich selbst verträumt, das Auge sonnenschwer,
Es flutet über mich mit schwüler Welle,
Ein blauer Falter taumelt um mich her,
Vom Schilfe tönt das Schwirren der Libelle.

In meiner Seele wird es licht und weit,
Ein Schwanken ist's, ein selig Untergehn.....
Des Sommertags verlor'ne Einsamkeit
Fühl ich wie gold'ne Nebel mich umwehn.

Noch sieht mein Aug' ein fallend Rosenblatt,
Ein Wasserhuhn ist taumelnd aufgeflogen.
Ich sinke hin – so still und traumesmatt
Und treibe steuerlos auf Traumeswogen.



Hedwig Dransfeld, 1871 - 1925





Photo copyright: Isabella Kramer

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Der Sommer

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Der Sommer

Wenn dann vorbei des Frühlings Blüte schwindet,
So ist der Sommer da, der um das Jahr sich windet.
Und wie der Bach das Tal hinuntergleitet,
So ist der Berge Pracht darum verbreitet.
Daß sich das Feld mit Pracht am meisten zeiget,
Ist, wie der Tag, der sich zum Abend neiget;
Wie so das Jahr verweilt, so sind des Sommers Stunden
Und Bilder der Natur dem Menschen oft verschwunden.



Friedrich Hölderlin, 1770 - 1843



Photo copyright: Isabella Kramer

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Sommerwind

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Sommerwind

Sommerwind, schon fast ein Sturm,
der kommt heute echt gelegen.
Denn der neue Drachen möchte
endlich sich so recht bewegen.

Wie es Drachen eben lieben, 
himmelhoch, gen Wolkenränder.
Lustig flattern dann am Schwanz
seine vielen bunten Bänder. 

Salto, Kurven, Pirouetten, 
mancher Spatz kann sich kaum retten,
staunt über den Riesenflieger. 
Doch bei diesem kleinen Wettkampf
sind am Ende beide Sieger. 


veredit©isabella.kramer23



Gemälde copyright: Isabella Kramer 



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Natur

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Natur

Wenn immer sie mich fragen,
Ob ich ein Freund sei der Natur,
Was soll ich ihnen nur
Dann sagen?

Ich kann eine Bohrmaschine,
Einen Hosenträger oder ein Kind
So lieben wie eine Biene
Oder wie Blumen oder Wind.

Ein Sofa ist entstanden,
So wie ein Flußbett entstand.
Wo immer Schiffe landen,
Finden sie immer nur Land.

Es mag ein holder Schauer
Nach einem Erlebnis in mir sein.
Ich streichle eine Mauer
Des Postamts. Glatte Mauer aus Stein.

Und keiner von den Steinen
Nickt mir zurück.

Und manche Leute weinen
Vor Glück.





Joachim Ringelnatz, 1883 - 1934



Photo copyright: Isabella Kramer

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Mein Falke

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 Mein Falke


O Sehnsucht, wilder Falke mein,
Willst du auch müde werden?
Dess' Heimat hoch im Blauen war,
Behagt's dir nun auf Erden?

Wie oft hast du den jungen Sinn
Aus diesen grauen Tagen
Hoch über Sorge, Not und Leid
Getragen.

Bis mir das dunkle Tal entschwand
Im märchenweiter Ferne
Und um mein glühend Haupt sich bog
Das Diadem der Sterne.

Nun beugst auch du die stolze Stirn
Und läßt die Flügel hängen,
Nun hat auch dich die Sorgenfrau
Gefangen.

Brich deine Fesseln, Wanderfalk,
Und hebe dein Gefieder -
Siehst du die Sterne droben glühn,
Hörst du die süßen Lieder?

Es ist die Heimat, die uns ruft,
Sie lockt mit Lust und Wonne,
Steig auf mit hellem Jubelschrei
Zur Sonne!


Anna Ritter, 1865 - 1921

 


 

 

Foto von Lance Reis auf Unsplash

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Wasser

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Wasser

Wasser trägt im Ozeane
Tröstend fernhin den Betrübten,
Spült im Fluß auf leichtem Kahne
Den Geliebten zur Geliebten.

Wasser rauscht aus Felsenklüften
Als Gesang herab zum Tale,
Perlt als Tau aus Morgenlüften
In der Blumen Duftpokale.

Wasser träuft, als milder Regen,
Kühlend in die trockne Erde,
Wasser labt als Quell an Wegen
Wand'rer, Hirten, Wild und Herde.

Ohne daß es Wasser sauge,
Stürb' auf Erden alles Schöne,
Ach! und nur im Menschenauge
Ist das Wasser – eine Träne.



Karl Egon Ebert, 1801 - 1882





Foto von Todd Cravens auf Unsplash

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Am Fluß

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Am Fluß

Von Bords zu Bord seh' ich der Sonne Gluten
Des mittags goldig helle Netze spinnen.
Sacht treibt ein Boot. Ein Fischer sitzt darinnen
Und schaukelt Silber aus den grünen Fluten.

Fern grüßt ein Hüttlein still und weltverlassen.
Der schlanken Birken zarte Schleier decken
Das steile Dach, und an den hohen Hecken
Die Rosen – müd' von Glanz und Licht – verblassen.

Ob dunkeln Spiegeln nicken Schilf und Röhricht,
Verschlafen glucksend weiße Blasen schäumen.
Es ist so recht zu sinnen und zu träumen
Die Stunde – schönheitsfroh – glückstrunken – töricht.



Cornelia Kopp, 19./20. Jhdt.




Photo copyright: Isabella Kramer
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