Eine traurige Geschichte
Ein Hering liebt' eine Auster
Im kühlen Meeresgrund;
Es war sein Dichten und Trachten
Ein Kuß von ihren Mund.
Die Auster, die war spröde,
Sie blieb in ihrem Haus;
Ob der Hering sang und seufzte,
Sie schaute nicht heraus.
Nur eines Tags erschloß sie
Ihr duftig Schalenpaar;
Sie wollte im Meeresspiegel
Beschauen ihr Antlitz klar.
Schnell kam der Hering geschwommen,
Streckt seinen Kopf herein
Und dacht' an einem Kusse
In Ehren sich zu freu'n!
O Harung, armer Harung,
Wie schwer bist du blamiert!
- Sie schloß in Wut die Schalen,
Da war er guillotiniert.
Jetzt schwamm sein toter Leichnam
Wehmütig im grünen Meer
Und dachte: "In meinem Leben
Lieb' ich keine Auster mehr!"
Joseph Victor von Scheffel, 1826 - 1886
Die Guillotine ist ein nach dem französischen Arzt Joseph-Ignace Guillotin benanntes Fallbeil zur Vollstreckung der Todesstrafe durch Enthauptung. Wikipedia
Photo copyright: Isabella Kramer
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