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Der Seelchenbaum

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Der Seelchenbaum

Weit draußen, einsam im öden Raum
steht ein uralter Weidenbaum
noch aus den Heidenzeiten wohl,
verknorrt und verrunzelt, gespalten und hohl.
Keiner schneidet ihn, keiner wagt
vorüberzugehn, wenn's nicht mehr tagt,
kein Vogel singt ihm im dürren Geäst,
raschelnd nur spukt drin der Ost und West;
doch wenn am Abend die Schatten düstern,
hörst du's wie Sumsen darin und Flüstern.
Und nahst du der Weide um Mitternacht,
siehst sie von grauen Kindlein bewacht:
Auf allen Ästen hocken sie dicht,
lispeln und wispeln und rühren sich nicht.
Das sind die Seelchen, die weit und breit
sterben gemußt, eh' die Tauf' sie geweiht:
Im Särglein liegt die kleine Leich',
nicht darf das Seelchen ins Himmelreich.
Und immer neue, - siehst es du? -
in leisem Fluge huschen dazu.
Da sitzen sie nun das ganze Jahr
wie eine verschlafene Käuzchenschar.
Doch Weihnachts, wenn der Schnee rings liegt
und über die Länder das Christkind fliegt,
dann regt sich's, pludert sich's, plaudert, lacht,
ei, sind unsre Käuzlein da aufgewacht!
Sie lugen aus, wer sieht was, wer?
Ja freilich kommt das Christkind her!
Mit seinem helllichten Himmelsschein
fliegt's mitten zwischen sie hinein:
»Ihr kleines Volk, nun bin ich da -
glaubt ihr an mich?« Sie rufen: »Ja!«
Da nickt's mit seinem lieben Gesicht
und herzt die Armen und ziert sich nicht.
Dann klatscht's in die Hände, schlingt den Arm
ums nächste - aufwärts schwirrt der Schwarm
ihm nach und hoch ob Wald und Wies'
ganz graden Weges ins Paradies.



Ferdinand Ernst Albert Avenarius, 1856 - 1923




photo copyright: Isabella Kramer


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Die heiligen Drei Könige

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Die heil'gen Drei Könige


Die heil'gen Drei Könige aus dem Morgenland,
sie frugen in jedem Städtchen:
"Wo geht der Weg nach Bethlehem,
ihr lieben Buben und Mädchen?"

Die Jungen und Alten, sie wussten es nicht,
die Könige zogen weiter,
sie folgten einem goldenen Stern,
der leuchtete lieblich und heiter.

Der Stern bleibt stehn über Josefs Haus,
da sind sie hineingegangen;
das Öchslein brüllt, das Kindlein schrie,
die heil'gen Drei Könige sangen.


*


Three holy kings from the land of the West
Go asking whoso passes,
"Where is the road to Bethlehem,
Ye gentle lads and lasses?"

But neither young nor old can tell.
The kings fare patient onward,
They follow a golden star o'erhead,
That bright and kind shines downward.

The star stands still o'er Joseph's house,
Thither the pilgrims bringing;
The oxen low, the Infant cries,
The three wise kings are singing.



von Heinrich Heine, 1797-1856
translated by Emma Lazarus 1849 - 1887







Aquarell: "Wise Men" copyright ©Kay Myer2016




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Die Heinzelmännchen zu Köln

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Die Heinzelmännchen zu Köln


Wie war zu Köln es doch vordem
Mit Heinzelmännchen so bequem!
Denn, war man faul,... man legte sich
Hin auf die Bank und pflegte sich:
Da kamen bei Nacht,
Ehe man's gedacht,
Die Männlein und schwärmten
Und klappten und lärmten,
Und rupften
Und zupften,
Und hüpften und trabten
Und putzten und schabten...
Und eh ein Faulpelz noch erwacht,...
War all sein Tagewerk... bereits gemacht!
Die Zimmerleute streckten sich
Hin auf die Spän' und reckten sich.
Indessen kam die Geisterschar
Und sah was da zu zimmern war.
Nahm Meißel und Beil
Und die Säg' in Eil;
Und sägten und stachen
Und hieben und brachen,
Berappten
Und kappten,
Visierten wie Falken
Und setzten die Balken...
Eh sich's der Zimmermann versah...
Klapp, stand das ganze Haus... schon fertig da!

Beim Bäckermeister war nicht Not,
Die Heinzelmännchen backten Brot.
Die faulen Burschen legten sich,
Die Heinzelmännchen regten sich -
Und ächzten daher
Mit den Säcken schwer!
Und kneteten tüchtig
Und wogen es richtig,
Und hoben
Und schoben,
Und fegten und backten
Und klopften und hackten.
Die Burschen schnarchten noch im Chor:
Da rückte schon das Brot,... das neue, vor!

Beim Fleischer ging es just so zu:
Gesell und Bursche lag in Ruh.
Indessen kamen die Männlein her
Und hackten das Schwein die Kreuz und Quer.
Das ging so geschwind
Wie die Mühl' im Wind!
Die klappten mit Beilen,
Die schnitzten an Speilen,
Die spülten,
Die wühlten,
Und mengten und mischten
Und stopften und wischten.
Tat der Gesell die Augen auf,...
Wapp! hing die Wurst da schon im Ausverkauf!

Beim Schenken war es so: es trank
Der Küfer bis er niedersank,
Am hohlen Fasse schlief er ein,
Die Männlein sorgten um den Wein,
Und schwefelten fein
Alle Fässer ein,
Und rollten und hoben
Mit Winden und Kloben,
Und schwenkten
Und senkten,
Und gossen und panschten
Und mengten und manschten.
Und eh der Küfer noch erwacht,
War schon der Wein geschönt und fein gemacht!

Einst hatt' ein Schneider große Pein:
Der Staatsrock sollte fertig sein;
Warf hin das Zeug und legte sich
Hin auf das Ohr und pflegte sich.
Das schlüpften sie frisch
In den Schneidertisch;
Da schnitten und rückten
Und nähten und stickten,
Und faßten
Und paßten,
Und strichen und guckten
Und zupften und ruckten,
Und eh mein Schneiderlein erwacht:
War Bürgermeisters Rock... bereits gemacht!

Neugierig war des Schneiders Weib,
Und macht sich diesen Zeitvertreib:
Streut Erbsen hin die andre Nacht,
Die Heinzelmännchen kommen sacht:
Eins fähret nun aus,
Schlägt hin im Haus,
Die gleiten von Stufen
Und plumpen in Kufen,
Die fallen
Mit Schallen,
Die lärmen und schreien
Und vermaledeien!
Sie springt hinunter auf den Schall
Mit Licht: husch husch husch husch! - verschwinden all!

O weh! nun sind sie alle fort
und keines ist mehr hier am Ort!
Man kann nicht mehr wie sonsten ruhn,
Man muß nun alles selber tun!
Ein jeder muß fein
Selbst fleißig sein,
Und kratzen und schaben
Und rennen und traben
Und schniegeln
Und biegeln,
Und klopfen und hacken
Und kochen und backen.
Ach, daß es noch wie damals wär!
Doch kommt die schöne Zeit nicht wieder her!

August Kopisch, 1799 - 1853



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Der Weihnachtsstern

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Der Weihnachtsstern 


Von Osten strahlt ein Stern herein
Mit wunderbarem hellem Schein,
Es naht, es naht ein himmlisch Licht,
Das sich in tausend Strahlen bricht!
Ihr Sternlein auf dem dunklen Blau,
Die all ihr schmückt des Himmels Bau,
Zieht euch zurück vor diesem Schein,
Ihr werdet alle winzig klein!
Verdunkelt, Sonnenlicht und Mond,
Die ihr so stolz am Himmel thront.
Er nahet heilig leuchtend fern
Vom Osten her der Weihnachtsstern.




Franz von Pocci, 1807 - 1876




photo copyright: Isabella Kramer




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Altes Kaminstück

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Altes Kaminstück

Draußen ziehen weiße Flocken
Durch die Nacht, der Sturm ist laut;
Hier im Stübchen ist es trocken,
Warm und einsam, still vertraut.

Sinnend sitz ich auf dem Sessel,
An dem knisternden Kamin,
Kochend summt der Wasserkessel
Längst verklungne Melodien.

Und ein Kätzchen sitzt daneben,
Wärmt die Pfötchen an der Glut;
Und die Flammen schweben, weben,
Wundersam wird mir zu Mut.

Dämmernd kommt heraufgestiegen
Manche längst vergeßne Zeit,
Wie mit bunten Maskenzügen
Und verblichner Herrlichkeit.

Schöne Frauen, mit kluger Miene,
Winken süßgeheimnisvoll,
Und dazwischen Harlekine
Springen, lachen, lustigtoll.

Ferne grüßen Marmorgötter,
Traumhaft neben ihnen stehn
Märchenblumen, deren Blätter
In dem Mondenlichte wehn.

Wackelnd kommt herbei geschwommen
Manches alte Zauberschloß;
Hintendrein geritten kommen
Blanke Ritter, Knappentroß.

Und das alles zieht vorüber,
Schattenhastig übereilt -
Ach! da kocht der Kessel über,
Und das nasse Kätzchen heult.




Heinrich Heine





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Heller Morgen

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Heller Morgen


Als ich schläfrig heut erwachte,
- und es war die Kirchenzeit –
hörte ich’s am Glockenschlage,
dass es über Nacht geschneit.

Als ich froh die Läden aufstieß,
trug die Welt ein weißes Kleid,
meine ganze Seele wurde
glänzend weiß und hell und weit.

Denn in meinem hellen Zimmer
klang so hell der Glockenschlag,
dass ich schon im Traume wusste:
heute wird ein heller Tag.



Börries Freiherr von Münchhausen, 1987 - 1945 




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